Das Gespenst unter dem Weißen Berge
Beim Rundteile unterhalb des Weißen Berges, da, wo der von Bobeck nach Schleifreisen führende Fußweg die Landstraße kreuzt, ist es zur Nachtzeit gar nicht geheuer. Dort lässt sich ein Gespenst sehen, das schon manchen Wendersmann erschreckt hat. Ein geheimnisvoller Sarg zieht quer über die Straße. Dann haben Leute gesehen, wie hier am Tage, besonders zur Winterszeit, eine alte Frau wehklagend durch den Wald schleicht und etwas sucht. Beherzte haben ihr zugerufen, was sie denn suche und wohin sie wolle. Die Antwort war immer ein tiefer Seufzer. Die gespenstische Erscheinung am Rundteile unterhalb des Weißen Berges bringe man mit folgendem Geschehnis in Verbindung: Vor Jahren war eine alte Frau aus Schleifreisen zur Winterszeit bei ihrer Tochter, die in Bobeck verheiratet war, zu Besuch. Hier aber erkrankte sie schwer und starb nach wenigen Tagen. Die Verstorbene sollte aber nicht in Bobeck beerdigt werden, sondern in ihrem Wohnorte. Am Tage vor dem Begräbnisse holten zwei Männer von dort die Tote ab. Sie hatten dazu einen Handschlitten mitgebracht, auf den sie den Sarg setzten. Nun war es, dass die beiden derber „Holzländer“ im Bobecker Gasthofe etwas mehr dem Branntwein zugesprochen hatten, als es eigentlich erlaubt war. Nicht wenig betrunken traten sie den Heimweg an. Es war ein ernst - heiter Anblick, wie sie, bald rechts, bald links taumelnd, den Sargbeladenen Schlitten keuchend dahin zogen. Eine Schar Kinder lief lachend hinterher. Bald kehrten die meisten aber wieder um, weil die Kälte zu grimmig war. Nur zwei kleine Knirpse folgten dem Schlitten noch eine längere Strecke bis an den Wald in der Nähe der Landstraße. Hier wollte es das Verhängnis, dass der Schlitten an einen sich in den Weg drängenden Baum schlug, infolgedessen das Gleichgewicht verlor und den Sarg abwarf. Zum Unglück war der Sargdeckel noch nicht aufgenagelt! Darum geschah es, dass dieser abfiel und die in dem Sarge liegende Frau in den Schnee geschleudert wurde. In ihrem Dusel aber hatten die beiden Männer, die den Schlitten zogen, von dem Vorgefallenen nichts bemerkt. Sie trollten ruhig weiter, als sei nichts geschehen. Da schrieen die ihnen folgenden Buben aus Leibeskräften nach: “Ihr habt die Frau verloren!“ Dieses Schreien rüttelte die beiden betrunkenen Männer doch auf. Sie blieben stehen und schauten sich um, setzten den Sarg wieder auf den Schlitten und legten die tote Frau hinein. Dabei mochten sie aber nicht gerade sanft verfahren sein; denn wie die Knaben daheim erzählen, habe der eine Mann gesagt :“Na, altes Weibsen, da schert euch nur wieder nein!“ Nun war es aber geschehen, dass ein Pantoffel der Toten im tiefen Schnee verloren gegangen war. Die Männer suchten, konnten ihn aber nicht finden. Sie schlossen den Sarg, und die Tote wurde ohne den Pantoffel begraben. Seit dieser Zeit soll nun die Frau in jenem Walde umgehen und den verlorenen Pantoffel suchen. Und solange sie ihm nicht findet, hat sie keine Ruhe im Grabe. Aus dem Hexentaler