Jetzt begann ein anderes Spiel.
Obu nahm ein langes Seil aus Waldreben mit einer Schlinge am Ende, schleuderte es geschickt über den Kopf des Holzbären, kletterte daran hinauf und warf Pfeile und Wurfspieße herunter.
Einer der großen Äste der alten Eibe war in Höhe von etwa sechs Mann quer über den Rasen hin nach der gegenüber am Abgrund stehenden Eiche zu gewachsen. Über diesen Ast warf Obu von dem Bären aus, auf dem er saß, sein Seil, dessen Schlinge noch am Kopf des Bären festhielt. Das andere Ende hielten die Knaben unten fest, und in wenigen Augenblicken war Obu, mit den Händen sich an dem quergespannten Seil haltend, hinüber auf den Baumast geturnt, schlang dann das Seil noch einigemal um den Ast und rutschte hinunter.
Nun kletterten kleine und große Knaben, einer nach dem anderen, hinauf, hinunter und schwangen sich daran von den unteren Ästen der Eibe weit über den Platz hin zu dem Felsen und wieder zurück.
Eben war die Reihe an Rulaman, als der Rabe, der bis dahin, als ob er den eifrigsten Anteil nähme, die Knaben bei ihren Übungen umflattert hatte, sich krächzend auf einen der höchsten Äste der Eiche erhob, der weit über den Abgrund kahl hinausreichte. Wieder rief Obu, der mit verschränkten Armen am Eingang der Höhle lehnte, spöttisch Rulaman zu:
»Auf, kleiner Häuptling! Wenn du zum Raben hinauffiegst und ihn herunterholst, küsse ich dir die Füße!«
Das bedeutete: ich will dir untertänig, dein Knecht sein. Rulaman war betroffen und sah zornig zu Obu hinüber. Alle Knaben blickten erwartungsvoll nach ihm, ob er den waghalsigen Flug durch die Luft machen würde.
Er besann sich einen Augenblick, dann, mit einem langen Absprung, schwang er sich an dem Seil auf einen der niederen Äste der Eibe, und von hier mit einem gewaltigen Schwung flog er in der Tat an dem Seil, quer über den ganzen Platz, hoch auf den Eichenast zu dem Raben und ließ sich sicher und ruhig wie ein Adler über dem Abgrund auf dem Ast nieder.
Atemlos starrten die Knaben hinauf. Auch die Weiber waren aufmerksam geworden; sie kreischten laut, als sie den Knaben oben in der schwindelnden Höhe sahen. Nur die alte Parre rief freudig aus. »Abargan, Abargan!« und klatschte lustig in die Hände.
Der Rabe war abgeflogen, kehrte aber auf den Ruf Rulamans gehorsam auf seine Schulter zurück. So kam dieser mit dem Raben, der flatternd sich an seinem Herrn festkrallte, in einem weiten Schwung an dem Seil glücklich wieder unten am Fuß der Eibe an.
Er trat vor Obu hin und sagte trotzig und stolz:
»Küsse mir die Füße!« Und Obu tat es.
Da ergriff ihn Rulaman bei der Hand und richtete ihn auf, denn es tat ihm leid, daß der große Jüngling vor ihm kniete. Er holte seinen Eibenbogen, den er lieb hatte, gab ihn Obu und sagte: »Nimm ihn von mir und gib mir deinen«.
Solch ein Waffenaustausch war ein Zeichen inniger Freundschaft, und von Stund an war Obu unzertrennlich von ihm.
Rulaman hatte seinen Feind nicht nur besiegt, sondern einen Freund in ihm gewonnen für Leben und Tod.
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