Ich möchte Euch heute von einem Mann erzählen.
Sein Name ist erstmal nicht so wichtig.
Nennt ihn meinetwegen Mr. YYY. ;-)
Würdest Du ihm auf der Straße begegnen, würdest Du wahrscheinlich
keine Notiz von ihm nehmen. Er wirkt unscheinbar, ja vielleicht ein
bisschen langweilig. Die Kleidung ist ordentlich, wenn auch nicht
besonders modisch. Er mag gern Braun- und Grautöne. Auch die Frisur
ist akkurat, er kämmt sich jedes Mal vor dem Spiegel, wenn er vor
die Tür geht. Man kann nur schwer einschätzen, wie alt er ist.
Seine Augen blicken einerseits neugierig und wach wie bei einem
kleinen Jungen, ein anderes Mal hat er einen abwesenden und leeren
Blick. Auf Ordnung und vor allem Pünktlichkeit legt er sehr viel
wert. Seine Wohnung ist stets aufgeräumt, es könnte ja jemand
unangemeldet zu Besuch kommen. Allerdings ist der letzte Besuch
schon sehr lange her. Verwandte hat er nicht in der Gegend, und der
Letzte, der bei ihm an der Tür klingelte, war der Mann von der GEZ.
Eine Arbeit hat er zur Zeit nicht, sie sagen zu ihm, das wäre
noch zu früh. Dabei hätte er so gern eine Beschäftigung. Sicher
würde er seine Aufgaben zur Zufriedenheit aller erledigen. So wie
jetzt, wo er gewissenhaft seinen Einkauf und den Tagesablauf
organisiert. Dafür schreibt er sich alles auf und macht einen
detaillierten Plan. Das liegt ihm. Sie sagen, früher sei er auch
immer sehr strebsam gewesen, und dann lachen sie hinter seinem
Rücken. Er merkt das, aber es macht ihm nichts aus. Er macht
einfach, was sie von ihm verlangen. Sie sagen ihm alles, was er
wissen muss. Sie sagen ihm, wer er ist und wer er war, denn sein
Gedächtnis reicht nur bis zu einem bestimmten Tag zurück. Der Tag,
an dem sich für ihn alles veränderte und er seine Erinnerungen an
das, was davor sein Leben war, verlor.
Sie sagen ihm, er habe einen Anfall gehabt, damals, im Jahr 2005.
Sie vermuten, dass er sich umbringen wollte, denn als man ihn fand,
lag er besinnungslos in einer öffentlichen Sauna. Das
Digitalthermometer zeigte immer noch erschreckende 79,6°C.
Ein Bedienungsfehler verhinderte wohl das Schlimmste. Er lag dort
komplett angezogen. Niemand hatte ihn dorthin begleitet oder
gewusst, dass er die Sauna im städtischen Schwimmbad an diesem
Vormittag eigenmächtig angestellt hatte. Wenn sie recht haben, ist
das mit die grausamste Art des Sterbens, die ich mir vorstellen
kann. Er muss einen großen Selbsthass gehabt haben, wenn er sich
auf diese Art und Weise umbringen wollte.
Sie sagen auch, dass er vorher alle seine persönlichen Dinge
verbrannt hat. Alle Dokumente, Fotos, Ausweise, Urkunden oder
Briefe hat er vernichtet. Auch das erhärtet den schlimmen
Verdacht.
Sie – das sind die Ärzte und Psychologen, die sich um ihn
kümmern. Sie gaben ihm auch seinen Namen zurück, aber mit dem kann
er nichts anfangen. Ihm ist es egal, wie er heißt, ob nun
Christian, Reinhard oder Bruno. Das ist ihm nicht
wichtig, aber er nimmt es eben hin, dann lassen sie ihn in
Ruhe.
Er hat nur eine Erinnerung an die Zeit vor dem Anfall und an die
klammert er sich. Es ist für ihn das Kostbarste, was er noch
besitzt. Er denkt mittlerweile den ganzen Tag an nichts anderes
mehr als an - ihre Stimme. Er hat die Stimme in seinem Kopf, sie
spricht mit ihm, erzählt von den Begebenheiten des Tages und von
Problemen und großen Plänen. Dabei spricht sie ihn mit
verschiedenen Namen an, das wundert ihn ein wenig, und der Name,
den die Ärzte ihm sagten ist auch nicht dabei. Er fühlt die
Sehnsucht, wenn er an die Stimme denkt, es muss eine ihm sehr nahe
stehende Frau gewesen sein, damals, in seinem alten Leben. Darum
kann er auch nicht verstehen, warum er versucht haben soll sich
umzubringen. Das ergibt doch keinen Sinn!
Die Stimme begleitet ihn auf der Suche nach seiner Identität, sie
klingt wunderbar rau und kratzig, fast wie durch einen
Lautsprecher. Den Ärzten hat er von der Stimme nichts erzählt, die
ist sein Geheimnis und sein Strohhalm, an dem er Halt findet.
Umso erstaunter war er, als er vor kurzem einen absenderlosen Brief
in seinem Briefkasten fand. Der Inhalt ließ ihn aufgeregt nach Luft
schnappen, hier ist sein Text:
Lieber Freund,
ich weiß, Du erinnerst Dich nicht an mich, aber Du musst mir
glauben, dass ich Dir helfen will. Mein Name wuerde Dir
wahrscheinlich sowieso nichts sagen und heutzutage ist es
gefaehrlich, zu viel von sich und seiner Vergangenheit
preiszugeben. Ich weiß von Deinem Versuch, Dein Leben zu beenden,
und ich kenne auch den Grund dafuer. Die Aerzte werden Dir nicht
helfen koennen, die einzige Chance, Deine Amnesie zu ueberwinden
liegt in der Konfrontation mit Deinem alten Leben. Begib’
Dich auf die Suche und folge meinen Anweisungen, und Du wirst
letztlich erkennen, wer Du warst.
K.E.
Bis zu dieser Stelle kenne ich die Geschichte. Ich weiß nicht,
ob er erfolgreich war und seine Vergangenheit wiedergefunden hat.
Wenn Du es wissen willst und eine Ahnung hast, in welche
Richtung Du gehen musst, dann hast Du die Chance zu erfahren,
ob es ein Happy End gibt oder nicht. Sei bei der Suche aber bitte
sehr vorsichtig und gehe vor allem nicht allein.
Viel Glück!
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