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Kapitel 6
Michel folgte der Masse an Seelen in Richtung des Fährmanns, dabei Ausschau haltend nach seiner Braut. Nirgends konnte er sie entdecken, also schob er sich voran, dem Boot entgegen, das ihn auf die andere Seite bringen sollte, wo er hoffentlich seine Geliebte wiederfinden würde.
Als er dem Fährmann gegenüberstand und seinen Obulus entrichtete schaute dieser ihn wissend an.
„Selten nur begegnet mir eine Seele ein zweites Mal, Du stehst nun schon zum dritten Male vor mir und willst das Totenreich betreten. Und ich bin sicher, wir haben uns nicht zum letzten Male gesehen.“ Michel nickte kurz, dann nahm er seinen Platz auf dem Boot ein.
Kaum war er auf der anderen Seite angelangt entdeckte er seine Braut, die auch noch im Tode ihr Brautkleid trug. Schnell zog er sie zurück zum Fährmann, bevor dieser wieder übersetzen konnte, um nicht allzu viel Zeit im Totenreich zu verbringen. Doch als er nach dem Beutel um seinen Hals griff bemerkte er, dass sich nur noch eine Münze in ihm befand. Erschrocken betrachtete er den Beutel und stellte fest, dass die Klinge des Teufels an dem Samtsäckchen einen Schnitt hinterlassen hatte. Irgendwo zwischen hier und dem Reich der Lebenden musste eine Münze herausgefallen sein.
Michel führte seine Braut zum Boot des Fährmanns, schob sie ihm in die Arme und gab dem Knochenmann die letzte Münze. „Bring sie für mich auf die andere Seite. Meine Chance ist vertan, ich bin nun des Teufels.“
„Ich werde bald zurück kehren, warte hier“ entgegnete der Fährmann.
Während Michel auf die Rückkehr des Fährmanns wartete bemerkte er ein seltsames Glitzern im Wasser, überall dort, wo dessen Boot die Oberfläche durchschnitt und sich das fahle Licht, das hier herrschte, in den kleinen Wellen brach, die dadurch entstanden. Als der Fährmann nach einiger Zeit die nächste Ladung Seelen ans Ufer brachte kam er zu ihm und sprach:
„Ich bin Charon, der Fährmann, der die Seelen der Verstorbenen vom Reich der Lebenden über den Styx ins Reich der Toten geleitet. Sag mir, was führt dich zum wiederholten Male zu mir. Du besitzt Münzen, die nicht für die Lebenden gedacht sind. Und ich glaube, du vermisst dies hier!“ Damit hielt er die letzte Münze hoch, die mit dem fahlen Hintergrund und dem eisblauen Boot.
Da begann Michel zu erzählen, von seiner Prahlerei, von der Wette des Teufels und wie er ihn drei Mal überlistet hatte. Aber auch von dem, was danach kam, dem Kaufmann, dem König und seiner Braut, die jetzt sicherlich schon wieder unter den Lebenden weilte und ihn betrauerte.
„Was ist das?“ fragte der Fährmann und hielt ein paar Münzen hoch. Michel erkannte sowohl vertraute Münzen, Pfennige, Taler, aber auch fremde Münzen, meistens rund, manche aber auch eckig, mit unbekannten Gesichtern darauf.
„Das ist der Obulus, mit dem die Verstorbenen für Deine Dienste bezahlen“ antwortete Michel. „Falsch“ sprach der Fährmann. „Dies sind Symbole. Wenn ein Mensch stirbt geht er ins Vergessen. Für die meisten Menschen ist der Schock darüber, nicht mehr am Leben zu sein, so groß, dass sie nicht wissen, was sie tun sollen. Die Münzen, die die Hinterbliebenen ihnen mitgeben sollen sie daran erinnern. Sie stellen eine Aufforderung dar, mir die Münzen zu bringen. Dann kann ich die Seelen der Verstorbenen ins Totenreich geleiten. Die, denen niemand eine Münze mitgeben konnte, weil sie alleine waren, weil sie im Schlachtengetümmel starben oder weil einfach niemand eine Münze hatte, finden oftmals nicht den Weg zu mir. Manche schließen sich einfach der Meute an und gelangen doch noch zu mir, andere irren umher und haben irgendwann das Glück, sich doch noch zu erinnern. Und wieder andere gehen verloren. Denen kann ich leider nicht helfen.
Du warst ehrlich zu mir, daher mache ich Dir einen Vorschlag. Ich lasse Dich ein letztes Mal passieren und Du lebst Dein Leben mit Deiner Braut. Doch wenn du endgültig und zum letzten Male stirbst habe ich eine Aufgabe für Dich. Du wirst durch die Welt reisen, jenseits von Raum und Zeit und die Seelen der Verstorbenen einsammeln, eine jede, ohne Unterschied. Du bringst sie zu mir ohne auch nur eine Einzige verloren gehen zu lassen. Du wirst ein schwarzes Gewand tragen und eine Sense mit dir führen, als Zeichen der Trennung der Toten von den Lebenden. Auf diesem Wege ist uns beiden gedient, ich muss kein Bedauern mehr verspüren ob der verlorenen Seelen und Du entkommst dem Teufel ein letztes Mal.“
Epilog
Der Matrose schlug die Augen auf. Eben noch hatten seine Lungen gebrannt, seine Knochen geschmerzt, in diesem Moment schon vergaß er den Sturm, der das Meer aufgepeitscht hatte und die Welle, die ihn zuerst gegen die Rehling und danach über Bord gespült hatte. Auch, dass er sich eigentlich im Wasser befinden sollte, war ihm gleichgültig. Stattdessen stand er im Nebel, doch unter seinen nackten Füßen spürte er Land. Ihm gegenüber schälte sich eine schwarze Gestalt aus dem Dunst, gehüllt in ein Gewand mit Kapuze, welche das Gesicht verdeckte. Die eine Hand der Gestalt hielt eine Sense, deren Klinge kurz im fahlen Licht aufblitzte, die andere Hand hielt sie ihm entgegen. „Komm“ sagte die Gestalt. Und der Matrose folgte ihm.