In Gedanken versunken doch ratlos betrachtet die junge Daniela Hilbert das Puzzle, welches vor Ihr liegt. Sie hat es als junges Kind als einzige Hinterlassenschaft von Ihrem Vater geerbt, den Sie kaum kannte; ihn, den eigenwilligen Eigenbrötler, der sie und ihre französische Mutter, Augustine Cauchy, sehr früh verließ, um die letzten Jahre eines viel zu kurzen Leben irgendwo als Stromer zwischen Voerde und Dinslaken zu vertingeln. Seine wenigen Freunde bezeichnen ihn als eigenartiges Genie oder auch nur als "total eigen im Kopf". Sie nannten sein Leben "DU", so wie in "dauernd unterwegs" oder einfach nur "durch".
Ob er dabei das ehemalige Familienvermögen durchgebracht oder doch noch irgend etwas übrig gelassen und irgendwo versteckt hat ist nicht bekannt; Alimente hat er jedenfalls nicht gezahlt und wie gesagt, die einzige Hinterlassenschaft ist dieses Puzzle, welches mutmaßlich aus dem Badezimmer irgendeines verlassenen Ortes stammt. Er hat es wohl auf die Bisazzafliesen gepinselt, von der Wand gelöst und in 156 Teile zerbrochen.
Zum aberhundertsten Male sinniert sie, die mittlerweile volljährig ist, über dessen eigentümliche Bedeutung. So oft hat sie schon darauf geschaut, daß Ihre Gedanken dabei immer wieder in verschiedene und ganz andere Richtungen abschweifen. Warum sind es gerade so viele Teile wie es sind und warum sind es 359 Bisazzas? Das geht doch gar nicht auf. Oder fehlt da was? Warum ist ein "Elfer" unter den Teilen aber kein "Zehner"? Wie viele 156 Teile-Puzzles kann man denn aus 359 Bisazzas machen? Wieviele Puzzels könnte man mit 11er und 10er machen? Oder ohne 1er?
Diese Gedanken und derlei Unkraut wuchern in Ihrer Phantasie, aber mehr als das und alles andere beschäftigt sie natürlich die Frage "was will mir Papa mit diesem Puzzle sagen?
Bis sie erneut abschweift. Warum, in Gottes Namen, hat er nur so ein häßliches Puzzle gewählt? Ist es Graffiti? Warum nicht ein schönes Bild? Es muß ja nicht der röhrende Hirsch vor der Partnachklamm sein. Aber das Geschmiere hier, erinnert sie sehr an den Lieblingsspruch ihres alten Lateinlehrers, den er immer dann von sich ließ, wenn eine(r) mal wieder unleserlich geschrieben hatte:"Merda,” Caesar dixit, in parietem cacavit, opus suum mirabatur....
Welche Nachricht versteckt sich hier? Irgendwann, so ist sie sich gewiss, wird sie es auf die eine oder andere Weise herausfinden. Sie darf nur nicht aufgeben und verzweifeln.
Nein, darf Sie nicht, und Du natürlich auch nicht.
