Die Brücke
Zwei, die einst sich liebten, vor Gott und Menschen
Weib und Mann,
Gingen zwanzig Jahre stumm in Joch und Bann.
Zwanzig Jahr in Schweigen, ohne Gruß und Wort.
Da sind in Schnee und Schatten zwei arme Seelen
verdorrt.
Wie der Mann zum Sterben sich legte auf Erntestreu,
Sein Weib umhegte ihn schweigend, mondenkalt und
treu.
Da sah wohl scheu und verstohlen eins das andere an.
Sie schlug die Augen nieder. Fiebernd stöhnte der
Mann.
Sie sahen sich beide wie Sklaven, gekettet auf
ödgrauem Meer,
Und kamen doch einst von den grünen Gestaden der
Liebe her.
Nun war die Fahrt zu Ende. Sie sahen festes Land
Und sahen — o seliges Wunder — eine Sternenbrücke
gespannt;
Vom blühenden Ufer der Liebe zum dämmernden
Todesport.
Da quoll es wie Frühlingskeimen in Herzen, die lange
verdorrt.
Wie Blut aus uralten Wunden brachs: »Ach, vergib,
vergib.«
»Ich habe Dich lieb«, sprach das eine. Das andre: »Ich
habe Dich lieb«.
Ilse Franke-Oehl
Aus der Sammlung Diesseits