Der 2. Oktober 1989 ist ein Montag. In Leipzig am Brühl ist die Stimmung aufgeheizt. Tausende Menschen demonstrieren, viele sind nach dem Friedensgebet in der Nikolaikirche auf die Straße geströmt. Immer wieder sind Sprechchöre zu hören. "Demokratie, jetzt oder nie!" skandieren die Menschen. Am Brühl stockt der Zug. Eine Polizeikette versperrt den Weg Richtung Dittrichring. Schild an Schild stehen die Spezialkräfte da, und es scheint kein Durchkommen zu geben. Gewaltbereitschaft liegt in der Luft. Die Menschen in den vorderen Reihen rufen den Polizeikräften zu: "Schämt Euch!" oder "Schließt Euch an!" Man steht sich gegenüber. Doch dann gerät etwas in Bewegung.
Eine Straßenbahn nähert sich mit lautem Klingeln. Die Demonstranten bilden eine Gasse, die sich hinter der Tram sofort wieder schließt. Die Polizisten tun es ihnen gleich. Sie öffnen ihre Reihen für die Bahn und werden ausgetrickst: Der Straßenbahnfahrer tritt auf die Bremse, seine Bahn bleibt stehen und sprengt damit die Sperrkette. So ermöglicht er es den aufgebrachten Menschen, durch die Bahn hinter die überrumpelten Waffenträger zu gelangen.
Viele jubeln und klatschen dem couragierten Typen im Fahrerhaus Beifall, alles drängt nach vorn. Unter den Polizeikräften macht sich Ratlosigkeit und Verwirrung breit. Und Angst. Die verbirgt sich hinter unbewegten Mienen. Zufrieden schaut der Fahrer den Menschen hinterher. Er riskiert viel, doch gelohnt hat es sich auf jeden Fall.