28. Dezember - Die 5. Rauhnacht
Knecht
Ruprecht
Einmal, so im
Mittwinter, als der Wilde Jäger unterwegs war, verlor ein
Tier
aus seinem Gefolge die Eisen. Sein Reiter musste mit Pferd und Hund
zurück-
bleiben und verirrte sich, als er den hohen Zug einholen
wollte.
Endlich stieß er auf die Hütte einer armen Witwe, die hauste mit
ihren Kindern
mitten im Wald. Der Reiter, ein alter graubärtiger Geselle, warf
die Tür auf,
trat mit dem Hund ein, der auch gleich die Kleinen anfuhr, dass
eines von ihnen
niederstürzte, und verlangte zu essen und zu trinken. Die arme Frau
erschrak
sehr. Sie fragte nicht nach dem Namen, noch nach dem Woher und
Wohin,
brachte hastig, was gerade auf dem Herd stand, und wollte den Gast
zu-
friedenstellen. Der aß und trank, streckte die Beine von sich,
lehnte müde
gegen die Wand und versuchte auf der Bank einzuschlafen.
Doch die Frau hatte ein Lichtlein auf den Tisch der Kinder
gestellt, das
flammte und knisterte, so dass es dem Reitknecht in den Augen weh
tat. Er
schloss die Lider, aber der Glanz schien hindurch. Nach den grauen
Tagen in
Regen und Sturm, war ihm selbst dies kleine Lichtlein zu
hell.
Er befahl deshalb barsch der Frau: "Lösche das Licht aus, siehst du
nicht,
dass ich schlafen will?"
Aber die Mutter schüttelte den Kopf, und obschon sie viel Furcht
hatte, wider-
sprach sie und antwortete: "Löschen darf ich es nicht. Es winkt der
lieben
himmlischen Frau, damit das Sonnenlicht heimkommt und der Winter
vorübergeht."
Gegen solchen Namen wagte der Knecht nichts zu sagen, er wusste,
daß sein Herr
Tag für Tag nach ihr Ausschau hielt. Er brummte deshalb nur, wandte
den Kopf
und versuchte wieder zu schlafen. Es gelang ihm noch nicht, die
Kleinen saßen um
den Tisch und sangen leise. Da verlangte er rauh, das Singen sollte
unterbleiben.
Aber die Mutter verbot den Kindern die zarten Stimmen nicht, obwohl
sie nun
doppelte furcht hatte. "Hörst du denn nicht," fragte sie, "dass es
ein Lied zur
Weihnacht ist? Ach, wie käme die himmlische Frau, das Licht zu uns
zu bringen,
wenn wir sie nicht mit dem Singen der Kinder riefen?"
Wieder wagte der Knecht nicht, hart zu antworten. Als das Weib
indes hinging
und die Tür ein wenig öffnete, obwohl kleine flocken hereintanzten
und der Wind
den Rauch vom Herd zu Wirbeln trieb, geriet der Reiter außer sich:
"Was hast
du jetzt vor? Du weißt, dass ich friere und schlafen will!"
Die Frau entgegnete sanft: "Die Wittfru muss doch die Kinder hören
und das
Licht sehen, sie könnte sonst vorübergehen!"
Als der Knecht nun so viel von der vernahm, die sein Herr auf
langen, langen
Ritten vergeblich suchte, wunderte er sich. Er blinzelte sogar nach
der Tür-
spalte, ob nicht wirklich eine fremde vorbeikäme, aber er sah nur
das Gesicht
der Mutter, das voll Hoffnung nach draußen schaute. Da wurde er
bedrängt in
seinem Herzen und wollte seine Rauheit an den Kindern gutmachen.
Und weil er
das eine, das sein Hund umgeworfen hatte, noch bluten sah, stand er
auf, trat
hinzu und strich ihm über die Wunde. Gleich hörte das Rinnen
auf.
Die Kinder aber, die, als er nahe kam, vor furcht die Köpfe
niedergebeugt hatten,
ohne im Singen einzuhalten, sahen, dass der fremde Mann es gut
meinte, und
fassten Vertrauen zu ihm. Und eines, das großen Hunger hatte,
fragte, ob es
nicht etwas von seinem Brot haben dürfe.
Da brach er von dem Laib, den ihm die Frau hingestellt hatte. Er
gab sich sogar
die Mühe und besprach das Brot, so dass es süß wie Kuchen
schmeckte. Und weil
das Lied jetzt wirklich zu Ende war, trauten sich die Kinder näher
zu dem wilden
Knecht. Ein kleines Mädchen zeigte ihm ein Pferdchen, dem fehlten
Kopf und
Schwanz.
"Oh, wenn es weiter nichts ist", lachte der Mann und ging daran,
beides wieder
anzuflicken. Währenddessen dachte er heimlich an seinen Herrn, der
auch in der
Heiligen Weihnacht die Menschen beschenkt und sah auf die Mutter,
die ihm zu-
schaute und deren Augen glänzten, wie solches Licht gewiss nur von
der
himmlischen Frau Antlitz bekommt. Da gefiel es ihm, eifrig zu
helfen, und als ein
Knabe einen Hund haben wollte, knetete er ihm gleich einen, der
wahrhaftig
laufen und bellen konnte.
Wie schrieen und hüpften die Kinder da und wünschten sich gleich
alle ein Spiel-
zeug. Der Knecht musste seine Finger schon fleißig gebrauchen; ein
Geschenk
nach dem anderen sprang daraus hervor:
Puppen und Bälle zum Werfen für die Mädchen, Wagen und Reitersleute
für die
Jungen, und ich weiß nicht was alles. Und je mehr die Kinder
lachten und je
dankbarer die Frau ihm zusah, um so eilfertiger wurde der Mann. Als
er einen
Apfel fand, den das arme Weib verwahrt hatte, machte er gleich
einen Tisch
voller Äpfel daraus, und als das Kleinste ihm zwei Nüsse zeigte,
mit denen es
spielte, da wusste er es so einzurichten, dass ein praller Beutel
davon in der
Kammer stand. Denn wenn er auch nur ein Knecht des Wilden Jägers
war, so
wusste er doch mit allerhand guten Künsten Bescheid.
Wie der Mann nun mitten im Werk war, zog von draußen noch einmal
eine furcht-
bare Sturmböe heran. Und gerade als die Frau sich doch zu fürchten
begann
und die Tür schließen wollte, sprang sie krachend auf. Der Wilde
Jäger trat
über die Schwelle und hinter ihm ein allmächtiges Gedränge von
hohen Herren
und holden und unholden Gesellen. Die lachten dröhnend, als sie den
Alten mitten
unter den Kindern sahen, das Spielzeug in der Hand.
"Was tust du hier?" murrte der Wilde Jäger.
Der Knecht, der eben noch froh gewesen war, den Reitern wieder zu
begegnen,
merkte erschrocken, dass er sich verantworten sollte.
"Ach," sagte er, "das ist schwer zu erklären. Seht, Herr, die
Kinder sangen die
himmlische Frau herbei. Wie mich dünkt, für uns alle. Man soll
solches Singen
nicht gering achten und es belohnen."
"Er war so gut zu den Kleinen", sagte die Witwe fürbittend und
streckte die
Hände aus.
Der Wohljäger sah sie an, aber es war sogleich, als schaute er über
sie alle
hinweg. Dann wandte er sich seufzend dem Reiter zu. ,,50 bleib'
noch", befahl
er, "und geh auch in die anderen Häuser und lass alle Kinder
singen. Vielleicht,
dass sie, die wir suchen, sich doch rascher zu uns wendet, wenn sie
es hört."
Da freute sich der Knecht - Ruprecht hieß er - und ist dem auch
gehorsam
gefolgt. Und er geht noch heute jährlich durch die Häuser, um die
guten,
singenden Menschen zu beschenken.
Aber auf Griesgrame und Besserwisser, auf Faulpelze und Hagestolze
lässt er
Ruten und Plagen fallen. Denn er ist ein alter Reiter und fackelt
nicht lange.