Das Licht vom Himmel
07. Juli
Vor vielen Jahren, es muss kurz nach dem Ende des letzten großen Krieges gewesen sein, erschien am Nachthimmel über Salz plötzlich ein helles Licht. So schnell wie es erschienen war, war es auch schon wieder verschwunden, so dass nur ein einziger Mensch, die Erscheinung beobachtete. Das laute Donnergeräusch welches gleichzeitig mit dem Verschwinden des Lichtscheins zu vernehmen war, wurde zwar noch von anderen Bewohnern der Gegend gehört, diese hielten das Rumpeln jedoch für ein Donnern natürlichen Ursprungs.
Der einzige Augenzeuge des Phänomens war ein 86 Jahre alter Bauer welcher an diesem Abend noch einen Blick zum Nachthimmel geworfen hatte um das Wetter für die am nächsten Tag geplante Rübenernte zu erfahren. (Im Voraussagen des Wetters hatte der Mann im Laufe seines langen Lebens viel Erfahrung sammeln können, so dass man sich in der Regel auf seine Vorhersagen verlassen konnte.) Dem Bauern war sofort klar, dass das was er soeben gesehen und gehört hatte kein normaler Blitz und Donner gewesen sein konnte. So etwas wie diesen lang gezogenen Feuerschweif, welcher zischend über den Himmel schoss, um schließlich mit einem hellem Aufblitzen und lauten Donnerschlag hinter dem nächsten Hügelkamm zu verschwinden, hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen.
Neugierig geworden und in der Hoffnung vielleicht einen großen Meteoriten zu finden, welchen er für etwas Geld verkaufen könnte, machte er sich zu Fuß auf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die Geschichte die er am nächsten Tag überall erzählte war so wirr und unglaubwürdig, dass jeder der Zuhörer das Ganze auf sein fortgeschrittenes Alter und einen übermäßigen Genuss seines Selbstgebrannten (für den der alte Bauer weit und breit bekannt war) zurückführte.
Dass das Ganze inzwischen nicht ganz in Vergessenheit geraten ist und die Geschichte in geselliger Runde auch heute noch hin und wieder erzählt wird, dafür ist wohl der Umstand verantwortlich, dass der Bauer zwei Tage nachdem er von seinen Beobachtungen berichtet hatte, spurlos verschwand und seitdem nicht wieder gesehen wurde.
Seltsamer Weise ist seit jener Zeit in dieser Gegend auch immer wieder ein lautes Rumpeln zu vernehmen, ohne dass dafür ein natürlicher Grund zu erkennen wäre.
Ich persönlich würde, wie wohl die meisten Anderen auch, die Geschichte mit einem wohligen Schauern in die Rubrik urbane Legenden einordnen, wäre da nicht jenes Manuskript welches mir unlängst beim Ausräumen des alten Dorfarchivs in die Hände gefallen ist. Die mit zittriger Hand geschrieben Zeilen sind bereits sehr verblasst und auf dem vergilbten Papier zum Teil kaum noch zu erkennen. Dies und der Umstand, dass der Bericht in einer einfachen und dialektisch angehauchten Sprache verfasst ist, lässt mich jedoch zweifeln, dass es sich hier um einen Scherz handelt. Sollten diese mir hier vorliegenden Zeilen wirklich die letzten Worte, sozusagen das Vermächtnis des alten Bauern aus der Legende sein?
Da ich hierzu kein endgültiges Urteil fällen kann und will, habe ich mir erlaubt das handgeschriebene Dokument, soweit wie möglich, wortgetreu wiederzugeben. (Die unleserlichen Stellen habe ich durch „*„ ersetzt.
(Hier die Reinschrift des Manuskripts)
Soweit konnte ich das vergilbte Schriftstück noch entziffern. Ein Scherz? Vielleicht. Aber zumindest ist hier in Salz von Zeit zu Zeit noch immer das laute Rumpeln wirklich zu hören. Manchmal spürt man sogar eine leichte Erschütterung des Bodens. Das kann ich selbst bezeugen. Und wie es mir scheint kommt dieses Geräusch aus Richtung Strahlungen. Kann es Zufall sein, dass die seltsame Lichterscheinung am Himmel von dem der alte Bauer berichtete auch in Richtung Strahlungen verschwunden ist?
Was mir noch zu denken gibt, ist die Tatsache, dass mir vor einiger Zeit auf einem meiner abendlichen Spaziergänge an einem Baum ein Schimmern aufgefallen ist. Damals hatte ich mir nichts weiter dabei gedacht, aber jetzt, nachdem ich den Bericht des Bauern gelesen habe, drängt sich mir die Frage auf ob zwischen den leuchtenden Stückchen von denen der alte Mann spricht und dem von mir beobachteten Schimmern vielleicht ein Zusammenhang besteht? Sollte das von einem der leuchtenden und scheinbar vom Himmel gefallenen Bruchstücke herrühren? Ich werde der Sache heute Abend auf den Grund gehen. Wenn es dunkel geworden ist sollte es leichter sein der Spur der leuchtenden Stückchen zu folgen.
Ich glaube ich weiß noch wo die Stelle liegt an der mir das erste Schimmern aufgefallen ist und von dort aus werde ich einfach die Augen offen halten und versuchen der Spur zu folgen und das Geheimnis zu ergründen.
10. Juli
Ich bin wieder zurück! Aber kann das Alles denn wahr sein? Die Dinge an die ich mich erinnern kann lassen mich an meinem Verstand zweifeln. Deshalb habe ich beschlossen über das was ich erlebt habe zu schweigen.
Es würde mir vermutlich sowieso niemand glauben und von meinen Nachbarn als verschrobener Spinner abgestempelt und belächelt zu werden, darauf verzichte ich lieber.
Allerdings machen mich die leisen nächtlichen Geräusche welche ich seit einigen Tagen immer wieder höre langsam nervös.
Ich kann nicht mehr richtig schlafen und werde das Gefühl nicht los, dass da Jemand oder Etwas versucht in mein Haus einzudringen. Oder bilde ich mir das alles nur ein? Bei meinem angespannten Nervenkostüm kann ich inzwischen kaum noch zwischen Realität und Einbildung unterscheiden. Ich fürchte mich davor, dass es mir so ergehen könnte wie dem alten Bauern, welcher, nachdem er den leuchtenden Stückchen gefolgt war, plötzlich spurlos verschwand.
Darüber was ich an jenem Abend gesehen und erlebt zu haben glaube, werde ich vorsorglich schweigen. Überhaupt kann ich mich an das Erlebte nur noch verschwommen und bruchstückhaft erinnern. Sicher bin ich mir nur darüber, dass ich mitten in der Nacht verschwitzt und panisch wieder Zuhause ankam. Das Rascheln und die anderen unheimlichen Geräusche welche mich auf meinem fluchtartigen Rückweg verfolgt haben, sind sicherlich auch nur Produkte meiner überdrehten Fantasie. Ich glaube, dass SIE mich nicht gesehen haben. Oder hoffe ich das nur?
Ich muss Vorsorge treffen! Sollte ich mich darin irren, und ich bin doch nicht unbemerkt geblieben, dann droht mir Gefahr. Auf jeden Fall muss ich meine Mitmenschen warnen. Aber wie soll ich das nur tun ohne dabei andere auf die verderbliche Fährte zu locken? Das Wissen um diese Dinge darf jedoch auch nicht verloren gehen.
11. Juli
Ich habe eine Lösung gefunden. Ich habe mich nochmals tagsüber an die Stelle begeben von welcher aus ich im Dunkeln die ersten Lichtreflexionen erkennen konnte. Mit meinem GPS- Empfänger habe ich dort die Koordinaten ermittelt und gespeichert. Diese werde ich in zwei Bildern verstecken, so dass Uneingeweihte nicht so einfach den gleichen Fehler begehen können. Nur wer sich bemüht und die Dinge durchschauen will, kann die Koordinaten darin entdecken.
12.Juli
Habe heute Nacht
wieder keinen Schlaf gefunden. Wieder diese leisen verstohlenen Geräusche vor dem Haus. Es ist ein Wunder, dass ich bei all dem noch einen klaren Gedanken fassen kann.
Ich muss mich beeilen und diese Unterlagen verstecken.
