Die
versunkene Glocke
Mittlerweile
war der Krieg, an Salzburg und Salzwedel vorbei, durchs Land
gezogen und schien sich in bedenklicher Weise dem Städtchen
Schilda zu nähern. Das erfüllte die
Schildbürger und ihre Ratsherren mit großer sorgenden ob nun die
jeweiligen Sieger oder die arg Besiegten in eine Stadt kamen, es
war immer dasselbe: die Soldaten gingen in die Häuser und nahmen
sich, zur Erinnerung an die große Zeit, mit, was sie fanden, ob das
nun silberne Patenlöffel, Konfirmationsuhren, Tischdecken,
Porzellanteller, Samtwesten oder Trauringe waren. Ihnen war alles
recht.
So versteckten
die Schildbürger geschwind, was ihnen teuer und wert war. Nur mit
der Kirchenglocke wussten sie nichts anzufangen. Sie war aus bester
Bronze und ziemlich groß. Und man kannte damals schon die Vorliebe
der Kriegsleute für Kirchenglocken. Entweder holte die eigne Partei
das tönende Erz aus den Glockenstühlen, um Hellebarden und Spieße
draus zu fertigen, oder die Feinde nahmen die Glocken als Andenken
mit. So oder so, es war kaum zu vermeiden.
Nun lag aber
ganz in der Nähe von Schilda ein
stiller, tiefer See. Und der Bürgermeister sagte: »Ich hab's. Wir
versenken die Glocke im See, und wenn der Krieg vorbei ist, holen
wir sie wieder heraus.« Gesagt, getan.
Sie holten die Glocke aus dem Kirchturm, hoben sie auf einen Wagen,
spannten sechs Pferde davor, fuhren zum See hinaus, trugen sie
schwitzend in ein Boot und ruderten ein Stückchen. Dann rollten sie
die Glocke bis zum Bootsrand und warfen sie ins Wasser. Schon war
sie verschwunden, denn sie wog zwanzig Zentner. Man sah nur noch
ein paar Luftblasen aufsteigen. Das war alles.
Anschließend
zog der Schmied sein Taschenmesser aus der Joppe und schnitt in den
Bootsrand eine tiefe Kerbe. »Warum tust du
das?« fragte ihn der Bäcker. - »Damit
wir nach dem Krieg wissen, wo wir die Glocke ins Wasser geworfen
haben«, antwortete der Schmied. »Sonst fänden wir sie am Ende nicht
wieder.« Sie bewunderten seine
Vorsorge, lobten ihn, bis er rot wurde, und ruderten ans Land
zurück.
Nun, der Krieg
machte zum Glück einen großen Bogen um
Schilda. Man sah nur am Horizont den
Staub, den Heer und Tross aufwirbelten. Niemand drang in die
Häuser. Die Löffel, Uhren, Teller und Ringe wurden wieder aus den
Verstecken hervorgeholt. Und man fuhr mit dem Boot auf den See
hinaus, um jetzt auch die Glocke zu heben. »Hier muss sie
liegen!« rief
der Schmied und
zeigte auf seine Kerbe am Bootsrand. - »Nein, hier! « rief der
Bäcker, während sie weiterruderten. - »Nein,
hier!« rief der Bürgermeister. - »Nein,
hier!« rief der Schuster. Wohin sie
auch ruderten, überall hätte die Glocke liegen müssen. Denn die
Kerbe am Boot war ja überall dort, wo gerade das Boot war. Mit der
Zeit merkten sie, dass der Einfall des Schmieds gar nicht so gut
gewesen war, wie sie seinerzeit geglaubt hatten.
Sie fanden also
ihre Glocke nicht wieder, sosehr sie auch suchten, und mussten sich
notgedrungen für teures Geld eine neue gießen lassen. Der Bäcker
aber schlich sich eines Nachts heimlich zu dem Boot und schnitt
wütend die Kerbe heraus. Dadurch wurde sie freilich nur noch größer
als vorher. Mit Kerben ist das so.